Im März 1973, als der Streit um den Zusammenschluss von Aalen und Wasseralfingen erstmals eskalierte, dichtete die Wasseralfingerin Maria Wengert in der SchwäPo über die beiden Nachbarstädte: „Zwoe Schwestern send des, noh verwandt! En aller Liebe, gebt euch d’Hand.“ Ihr Aufruf aber blieb ungehört. Beide „Schwestern“ zerstritten sich in den folgenden zwei Jahren so heftig, dass der 1974 vom Landtag verordnete und 1975 durch den Staatsgerichtshof bestätigte Zusammenschluss keine Versöhnung darstellte und die Folgen des Streits die Gesamtstadt belastete – teilweise bis heute.
Obwohl ihre Rathäuser kaum drei Kilometer voneinander entfernt lagen, blieben sich Aalener und Wasseralfinger über Jahrhunderte eher fremd. Protestantischer, manchmal überheblicher Bürgersinn auf der einen, katholischer Bergarbeiterstolz und Minderwertigkeitskomplex auf der anderen Seite – so diagnostizierte es jedenfalls der Wasseralfinger Bürgermeister Kurt Kopfmann im Mai 1938. Da beide Kommunen um 1900 städtebaulich aber fast zusammengewachsen waren, versuchte die Landesregierung 1906/07 und nochmals 1938 dennoch, die Städte zu vereinigen. Beide Mal scheiterte das am Widerstand der Wasseralfinger, beim letzten Mal vor allem an den Seilschaften des NSDAP-Bürgermeisters Kopfmann in der Gauverwaltung.
Der dritte Anlauf zum Zusammenschluss beider Städte erfolgte im März 1968 im Rahmen des Landesgesetzes zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden – kurz „Gemeindereform“. Das Gesetz sah vor, dass sich im Ländle bis 1975 die damals 3379 noch selbstständigen Gemeinden zu weniger als 1000 größeren und leistungsfähigeren Kommunen zusammenschließen sollten, um die zahlreichen und teuren Zukunftsaufgaben – von Umweltschutz und Schulbau bis EDV-Revolution –meistern zu können. Eingemeindungen und Zusammenschlüsse sollten dabei zunächst auf freiwilliger Basis erfolgen und die Landesregierung lockte mit viel „Zuckerbrot“, vor allem mit Sonderzuschüssen in Millionenhöhe. Sollten die Kommunen sich aber nicht an den Vorstellungen des Landes – festgelegt in den so genannten „Zielplanungen“ – halten, drohte als „Peitsche“ zum 1. Januar 1975 der Zwangszusammenschluss per Gesetz durch das zuständige Gremium, den Landtag.
In Wasseralfingen, das ja erst 1951 selbst zur Stadt erhoben worden war, sorgte das Gesetz für geschäftiges Treiben: Für Bürgermeister Johannes Hegele war klar, dass sich Wasseralfingen gegenüber Aalen nur würde behaupten können, wenn es rasch selbst einen großen Verwaltungsraum nördlich von Aalen bildete. Gemeinsam mit Hofens Bürgermeister Dieter Mäule lud Hegele im Februar 1969 die Amtskollegen aus Fachsenfeld und Hüttlingen in die Kappelbergschule ein. Sein Angebot, die Bildung einer Verwaltungsgemeinschaft, nahm zum 1. Januar 1971 aber nur Hofen an, das sich unlängst mit dem Bau der Glück-auf-Halle finanziell übernommen hatte. Die Hüttlinger blieben lieber allein und die Fachsenfelder tänzelten zwischen Aalen und Wasseralfingen.
Die Aalener waren zwischenzeitlich nämlich nicht untätig geblieben. Durch geschickte Lobby-Arbeit in Stuttgart hatten sie erreicht, dass das Innenministerium in einer neuen Zielplanung im Oktober 1971 den Wasseralfinger Verwaltungsraum infrage stellte. Beunruhigt ob der davonschwimmenden Felle riet Bürgermeister Hegele seinem Gemeinderat: „Wir sollten dem Gedanken der Eingemeindung Hofens vorsichtig nähertreten. Auch Fachsenfeld ist anzustreben – denen ist es Angst vor Aalen.“ Mit Hofen ging es jetzt recht schnell: Im Februar erklärten sich zwei Drittel der Hofener bereit, Wasseralfinger zu werden. Zum 1. April 1972 genehmigte das Regierungspräsidium die Eingemeindung. Anders verhielt es sich in Fachsenfeld: Hier wollte der Bürgermeister Opferkuch unbedingt die weiterführende Schule, die heutige Reinhard-von-Koenig-Schule, im Dorf halten. Da dies nur im Verbund mit Dewangen und Aalen möglich war, entschieden sich die Bürger im Februar 1972 zu 67 Prozent für Aalen – nur 14 Prozent wollten Wasseralfinger werden. Zum 1. Januar 1973 gemeindete Aalen Fachsenfeld, Dewangen und Unterkochen ein. Ebnat und Waldhausen waren schon zuvor zu Aalen gekommen.
Wasseralfingen stand so im Januar 1973 mit Hofen allein da, als das Innenministerium seine dritte und finale Zielplanung vorstellte. Die sah den zeitnahen Zusammenschluss von Aalen und Wasseralfingen vor. Für die Wasseralfinger, die sich bereits 1970 kompromisslos und ohne Hintertürchen für die Selbstständigkeit ausgesprochen hatten, blieb nun nur noch der Kampf. Bei der Gemeinderatssitzung vom 22. Februar 1973 forderte Stadtrat Grimmeisen: „Unter allen Parteien und Bevölkerungsgruppen muss eine Eintracht dahin bestehen, die Selbstverwaltung zu erhalten, zu stärken und in den ganzen Kreis hinausklingen zu lassen.“
Die große Mehrheit der Bevölkerung stand hinter diesem Kurs: Im März 1973 sammelte die neugegründete Aktion „Selbstständiges Wasseralfingen“ 3087 Unterschriften gegen den Zusammenschluss und gut 600 Wasseralfinger buhten bei der Bürgerversammlung in der Sängerhalle Aalens Oberbürgermeister Schübel, wahrlich kein Sympathieträger, und die wenigen Befürworter eines Zusammenschlusses gnadenlos aus. Bei der Bürgerbefragung vom 1. April 1973 votierten 81 Prozent der Wasseralfinger für die Selbständigkeit. Dies änderte aber nichts am Regierungskurs. Im Juli 1973 verabschiedete das Kabinett die dritte Zielplanung. Innenminister Schieß sagte: „Diese Entscheidung wird uns wohl draußen teilweise entsetzlich übelgenommen. Aber wir konnten nicht vor den Gegenströmungen kapitulieren, weil wir unsere Grundsätze für richtig halten.“
In Wasseralfingen lautete nun die Devise, die Verantwortlichen von Landtag und Regierung mit den Folgen ihres Handelns vor Ort zu konfrontieren – notfalls auch mit Zwang. Eine Chance hierzu ergab sich am 13. September 1973, als Ministerpräsident Filbinger den Ostalbkreis besuchte – aber dabei Wasseralfingen „vergessen“ hatte. Für seine Durchfahrt von Ellwangen nach Aalen organisierten die Wasseralfinger eine Demo an der Wilhelmstraße. Am Ortseingangsschild prangte groß auf Latein das Zitat „Die Totgeweihten grüßen dich!“. Beim Eintreffen des Ministerpräsidenten-Konvois ließ die Feuerwehr die Alarmsirenen ertönen. Tatsächlich und überraschend für manchen Wasseralfinger stellte sich Filbinger dem Protest und zeigte Verständnis. Er machte bei dieser Gelegenheit, aber auch beim folgenden – nun offiziellen – Besuch am 21. Oktober 1973 klar, dass Reformen nicht ohne Schmerzen vonstattengingen und die Weichen rechtzeitig zu stellen seien.
In Wasseralfingen wollte oder konnte dieses Winken mit dem Zaunpfahl nicht (mehr) verstanden werden. Zu fest waren Verwaltung, Gemeinderat und große Teile der Bevölkerung auf den Kurs „Selbstständigkeit um jeden Preis“ eingeschworen. Um den Jahreswechsel 1973/1974 war stattdessen zu beobachten, wie sich der Diskurs in Wasseralfingen immer mehr von den politischen Realitäten entfernte. Als beispielsweise der Landtag Ende 1973 einen Erstentwurf zum Schlussgesetz präsentierte, nach dem Aalen und Wasseralfingen zur Stadt „Aalen-Wasseralfingen“ zusammengefasst werden sollte, war sich Hegele sicher: „Wir haben an Boden gewonnen.“ Im Vorfeld der dann folgenden von Stuttgart verordneten Bürgerbefragungen über den Gesetzesentwurf radikalisierte sich zudem der Ton. Während Aalen mit einem provokanten Plakat den Zusammenschluss-Gegnern „Kleingeist“ vorwarf, setzte Mäule, inzwischen Beigeordneter in Wasseralfingen, den Zusammenschluss mit dem Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung des Bürgers gleich. Hegele verglich den Zusammenschluss gar mit einer „Vergewaltigung des Bürgerwillens“ und einem „Schlag gegen die Demokratie“.
Die Ergebnisse der Befragungen vom 20. Januar 1974 (85 Prozent der Wasseralfinger gegen, 89 Prozent der Aalener für den Zusammenschluss) änderten nichts an der Haltung im Landtag. Der zuständige Landtagsausschuss, dominiert durch die alleinregierende CDU, stimmte im März 1974 mit 15:5 Stimmen für den Gesetzesentwurf: In Stuttgart kämpfte niemand für die Selbständigkeit Wasseralfingens, wie mehrfach die Aalener Abgeordneten Dr. Volz (CDU) und Dr. Geisel (SPD) öffentlich bekannten. Auch die beiden nicht. Bei der ersten Lesung des Gesetzes am 27. Juni 1974 forderte Volz: „Es muss im Interesse des Landes liegen, wenn sich in Ostwürttemberg ein Schwerpunkt ergibt: Aalen! Wasseralfingen muss dafür ein Opfer bringen.“ Im Juli 1974 beschloss der Landtag mit großer Mehrheit, Aalen und Wasseralfingen zum 1. Januar 1975 zu vereinigen.
Nun zeigten sich in Wasseralfingen erste Risse in der Widerstandsfront: Sowohl der Stadtrat Sauerborn als auch Heinz Göhringer, Vorsitzender der Aktion „Selbstständiges Wasseralfingen“, forderten Bürgermeister Hegele auf, in Verhandlungen mit Aalen zu treten und zu retten, was zu retten war. Hegele und die große Mehrheit des Gemeinderats bestanden aber darauf, den letzten Strohhalm zu ergreifen und Klage beim Staatsgerichtshof einzureichen: „Schließlich gibt es noch Gerichte, die über Recht oder Unrecht zu entscheiden haben.“ Zwar gelang es so, die Frist zur Vereinigung nochmal um ein halbes Jahr auf den 21. Juni 1975 zu verlängern. Am 2. Mai 1975 sprach der Staatsgerichtshof aber einstimmig das Urteil, wonach die Entscheidung des Landtags verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei: Das Gemeinwohl der Region habe Vorrang vor dem Wunsch Wasseralfingens selbständig zu bleiben.
Trauer, Enttäuschung und Frustration waren groß in Wasseralfingen. Hegele blieb aber kämpferisch. In den nun folgenden Verhandlungen mit Aalen wollte er noch das Maximum für Wasseralfingen herausholen. Konkret ging es um zwei Fragen: Erhält Wasseralfingen als Stadtbezirk eine Ortschaftsverfassung mit Ortsvorsteher und Ortschaftsrat, die ihr als Teil des städtischen Kernbereichs eigentlich nicht zustand? Und: Behält die neue Stadt den Doppelnamen „Aalen-Wasseralfingen“ oder wird sie doch einfach wieder zu „Aalen“? Da beide Verhandlungsparteien auf ihren Maximalforderungen beharrten, scheiterten die Gespräche. Am 21. Juni 1975 kam es mit der konstituierenden Sitzung des gemeinsamen Gemeinderats in der Aalener Stadthalle zum Zwangszusammenschluss.
Nach dieser Sitzung waren aber zumindest einige Stadträte der Meinung, dass man so – also mit Zwang – nicht in die gemeinsame Zukunft starten mochte. Tags darauf trafen sie sich im Wasseralfinger Gasthaus „Krone“ (heute: „Lotus“) und erarbeiteten ein Kompromisspapier. Demnach sollte die neue Stadt einfach „Aalen“ heißen, dafür bekäme der Stadtbezirk Aalen-Wasseralfingen die Ortschaftsverfassung auf zehn Jahre „zur Bewährung“ zugesichert. Auf Grundlage dieses Kompromisses entstand eine Vereinbarung, die beide ehemaligen Gemeinderäte „im Nachfassen“ beschlossen. Nach der Genehmigung durch das Regierungspräsidium entstand so zum 1. Juli 1975 aus dem zwangsvereinigten Aalen-Wasseralfingen die freiwillig vereinigte Stadt Aalen.
Unterzieht man das Handeln beider Kommunen einer Manöverkritik, fällt das Ergebnis wenig schmeichelhaft aus. Während die Aalener durch überhebliches Gebaren kläglich daran scheiterten, Vertrauen aufzubauen, verrannte sich Wasseralfingens Führung mit ihrem kompromisslosen Kurs völlig. Durch mutwillige Ignoranz politischer Realitäten wurde so viel Kapital – politisch wie finanziell – verspielt. Vor allem aber die populistische Rhetorik von Hegele und Mäule sollte sich noch zur Hypothek für die gemeinsame Flächenstadt entwickeln. Sie bremste das Zusammenwachsen Aalens und Wasseralfingens aus und – schlimmer noch – zerstörte das Vertrauen in die Demokratie bei einigen Wasseralfingern nachhaltig.
Schübels Nachfolger Ulrich Pfeifle hatte ab 1976 jedenfalls alle Hände voll zu tun, Vertrauen aufzubauen. Hilfreich war da 1985 die Entfristung der Ortschaftsverfassung. Dasselbe gilt für die baulichen Maßnahmen im größten Stadtbezirk: von der Modernisierung von Schul- und Sportanlagen über den Ausbau des Tiefen Stollens als Besucherbergwerk bis hin zur Ortskernsanierung mit dem Bürgerhaus als Kulturzentrum. Zudem profitierten die Wasseralfinger damals wie heute von der gemeinsamen Infrastruktur: Theater, KuBa und bald Hirschbachbad.
Am wirksamsten für das Zusammenwachsen war aber sicher die Förderung der reichen Vereinslandschaft, da sich hier Aalener und Wasseralfinger näherkamen. Schon 1988 bekannte Margarete Ilg in einer SchwäPo-Umfrage – stellvertretend für viele Wasseralfinger, dass sie sich zwar weiterhin als Wasseralfingerin fühle. Aber: „Die Gesamtstadt Aalen wird immer schöner und es fällt mir nicht schwer, mich mit ihr zu identifizieren.“ Und 2025 kommentierte der Stadtrat Franz Fetzer aus Wasseralfingen Investitionen in der Schullandschaft der Kernstadt mit: „Aalener sind wir doch alle!“ Vielleicht ist so also doch wahr geworden, was sich Maria Wengert schon 1973 gewünscht hatte: Aalener und Wasseralfinger geben sich „d’Hand“.